Die Klingel der einfahrenden S-Bahn dringt in mein Bewusstsein. Ich schaue an mir runter. Tasche. Portemonnaie. Schlüssel. Telefon. Alles da. Ich mache ein Selfie, um mein Aussehen zu überprüfen. Mir gefällt nicht, was ich sehe, aber meine Haare scheinen gekämmt und mein Gesicht gewaschen worden zu sein. Diesem Tag fehlt der Anfang. Trotzdem steige ich in die S-Bahn Richtung Arbeit. Eine Alkoholfahne sitzt mir gegenüber. Ein Mann begleitet sie. Er drückt auf dem Plastik einer verschlossenen Flasche rum, bis ein gelber Strahl aus einem unsichtbaren Loch in hohem Bogen in meine Richtung spritzt. Das Lachen des Mannes scheppert und macht keinen Spaß. Vielleicht nicht mal ihm selbst. Ich fliehe ans andere Ende der Bahn und finde einen Platz in der Nähe eines Teenagers, der mit dem Zeigefinger zwei Herzen auf die beschlagene Fensterscheibe malt. Die linke Hälfte des einen Herzens greift in die Rechte des anderen. Eine Herzschnittmenge entsteht. Liebe plus Mathematik gleich Frust. Ich fühle mit dem Teenager. Als dieser mich bemerkt, wischt er die Herzen mit der Hand von der Scheibe und versenkt seinen Blick in das Grau der Stadt. Eine Müdigkeit mit Brille steigt zu und nimmt fast alle Sitze ein.
„Endstation. Bitte alle aussteigen!“ Ich habe meine Haltestelle verpasst. Eine Uniform rast durch die S-Bahn und brüllt: „Raus hier!“
Draußen ist so eine Art Geisterwetter. Die Wolken erzählen Tragödien. Die Schlagzeilen auf den Tageszeitungen im Kiosk am Straßenrand geben ihnen Recht. Eine Mini-Bibel liegt in einer Pfütze im Rinnstein. Eine Frau ohne Zähne behauptet die Zeit zu sein und fordert mich zu helfen auf. Bevor ich irgendwas erwidern kann, ertönt Schlagermusik von rechts. Ein Fahrradfahrer mit einem Rudel Hunde an der Leine und einer am Fahrradlenker befestigten Musik-Box taucht auf. Der Fahrradfahrer brüllt etwas Unverständliches. Die Hunde knurren. Ich greife nach dem Arm der sich für die Zeit haltenden Frau und bringe uns in Sicherheit. Fahrradfahrer, Hunde und Schlagermusik ziehen vorbei. Wir schauen ihnen hinterher, bis sie verschwunden sind.
Die Zeit bedankt sich und läuft davon. Ich bleibe zurück mit dem Gefühl, sie betrogen zu haben.