Ein Sonntag holt mich ab. Ich weiß, wohin das führt. Trotzdem gehe ich mit. Das ist ein Reflex. Kein Spaziergang. Die Stadt jagt ihre Bilder durch mein Sein. Gespenster mit Schatten unter den Augen, Nacht im Haar und Staub unter den Schuhen stolpern mit Verspätung über den Asphalt. Eine Zigarette raucht eine Frau auf und drückt sie am Bordstein aus. Bücher auf Mauervorsprüngen bieten sich als zu verschenken an. Leute betrachten ihre Titel, wiegen sie in ihren Händen, drehen sie um sich selbst und lassen sie dann doch liegen. Eins der Bücher verschlingt eine vorbeistreunende Katze. Aus Protest. Nehme ich an. Ein zu einem Fragezeichen gebeugter Körper bittet in sieben Sprachen um Geld. Der Plastikbecher in seiner Hand ist leer. Ich suche nach einem Bedauern frei von Floskeln und werde nicht fündig. Ein Gesicht mit Ray-Ban-Sonnenbrille wirft mir Missmut zu. Ich fange ihn auf. Das ist ein Reflex.
Unter einer Brücke trinkt ein Geist Schnaps aus der Flasche. In seiner Welt reimen sich Verrat und Sarkasmus auf Liebe. Eine Straßenmusikerin hält mit Cover-Songs dagegen. Uniformierte geben dem Geist Recht. Die Musikerin räumt ihr Zeug zusammen und zieht weiter. Räder von Markenrollkoffern auf Kopfsteinpflaster fordern der einzig wahre Soundtrack dieser Stadt zu sein. Der Geist unter der Brücke zerschlägt seine Schnapsflasche. Scherben, die keinem Glück bringen werden. In einem Luxusauto mit offenem Verdeck sitzt ein Hund mit Frisur auf dem Beifahrersitz. In der Auslage eines Glitzerkaufhauses findet sich kein Kleidungsstück unter fünfhundert Euro. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sucht ein Mensch mit Geschichte im Gesicht in Mülleimern nach Pfandflaschen. Das Geruchspotpourri aus Elend und Überfluss macht Kopfschmerzen.
Ich will nach Hause und lande in einem Café. Ein Reflex. Bin ich mit den Leuten hier befreundet oder bemühe ich mich nur um die Wiederholung von Momenten, die sich vor einer Ewigkeit mal ganz okay angefühlt haben. Heute klingen die Gespräche wie aufgesagte Texte in einem Schultheaterstück mit Überlänge. Handykameras kreieren Momente, die nie stattgefunden haben und an die ich mich später trotzdem zu erinnern vorgeben werde. Ein Reflex.
Ich bin wieder zu Hause. Meine Wohnung räumt mich auf.